Institut für Wirtschaftsgeographie
 

Proseminar: Allgemeine Wirtschaftsgeographie mit Schwerpunkt Bevölkerungsgeographie
 
 

Referat: Das Modell des demographischen Übergangs und seine prognostischen Aspekte
 
 

Referent: Lars Basilautzkis
Leiter: Dr. Thomas Polensky

Vorgetragen am: 08. Juni 2000
 
 
 
 
 

1.)  Das Bevölkerungswachstum

Das Bevölkerungswachstum lässt sich grundsätzlich in zwei Wachstumsphasen einteilen:

· Eine lange Periode mit relativ schwachem Bevölkerungswachstum
· Eine relativ kurze Periode mit starkem Wachstum

Das Bevölkerungswachstum setzt sich aus der Differenz der Sterberate und der Geburtenrate zusammen.
 

1.1) Die Sterberate

Die Sterberate errechnet sie wie folgt:
 
 

                                  Sterbefälle innerhalb eines Jahres
Rohe Sterberate = ------------------------------------------------------------- * 1000
                                  Durchschnittliche Bevölkerung des betreffenden Jahres
 
 
 

Die Sterberate hat sich in den Industrieländern eher zurück entwickelt als in den Entwicklungsländern.
 
 

Gründe:
  • Fortschritte in der Medizin, die jedoch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu nachhaltigen Verbesserungen führten
  • Verbesserung der Ernährungsbasis, sowie der Verteilung (Erleichterung des Transports durch die Bahn bzw. Dampfschifffahrt usw.)
  • Verbesserung der hygienischen Bedingungen, vor allem der Wohnverhältnisse, der Wasserver- und entsorgung

In den Entwicklungsländern ist hingegen eine später einsetzende, abrupt fallende Sterberate zu erkennen.
 
 

Gründe:
  • Transferierung der medizinischen Errungenschaften der Industrienationen. Diese führten zu einer massiven Abnahme im Bereich der Kinder- und Säuglingssterblichkeit
  • Bekämpfung bzw. Eindämmung von Epidemien und Seuchen (vor allem durch internationale Hilfsorganisationen)

1.2) Die Geburtenrate

Die Geburtenrate errechnet sich folgendermaßen:
 

                                      Zahl der Lebendgeborenen innerhalb einer Zeiteinheit
Rohe Geburtenrate = ---------------------------------------------------------------- * 1000
                                      Mittlere Bevölkerungszahl in der selben Zeiteinheit
 
 

Die Geburtenrate hat sich ebenfalls in den Industrieländern eher zurück entwickelt als in den Entwicklungsländern.

Gründe für den Rückgang:
 


2.) Der demographische Übergang

Begründet in der europäischen, nordamerikanischen und australischen Bevölkerungsentwicklung. Entstehung in den 20er Jahren. Formuliert von Thompson (1929) und Notestein (1945).
Ausgangssituation: hohe Geburten- und Sterberaten
Endstadium: niedrige Geburten- und Sterberaten
Den Transformationsprozess zwischen diesen beiden Phasen bezeichnet man als demographischen Übergang.
In anderen Worten: der demographische Übergang ist der Transformationsprozess von hohen Geburten- und Sterberaten zu niedrige Geburten- und Sterberaten.

Es lassen sich fünf Phasen unterscheiden:

  1. prätransformative Phase (Vorbereitung): hohe Geburten- und Sterberaten; hohe Umsatzziffer; geringes, in einigen Phasen sogar negatives Wachstum

  2.  
  3. frühtransformative Phase (Einleitung): fallende Sterberate; konstante bis leicht zunehmende Geburtenzahl; ansteigendes Bevölkerungswachstum

  4.  
  5. mitteltransformative Phase (Umschwung): weiterer Sterblichkeitsrückgang; einsetzender Geburtenrückgang; Phase des größten Wachstums

  6.  
  7. spättransformative Phase (Einlenken): rapider Abfall der Geburtenzahlen; nur noch leichter Rückgang der Sterbeziffern; stark sinkende Wachstumsraten

  8.  
  9. posttransformative Phase (Ausklingen): einpendeln von Sterbe- und Geburtenziffern auf niedrigem Niveau; Umsatzziffer gering bis abnehmend


Das Endstadium des Übergangs hat eine Verschiebung der Altersstruktur zur Folge:
 


Das Modell hat folgende Funktionen:
 


Annahme: alle Länder müssen diesen Prozess durchlaufen

Die Anwendung des Modells trifft auf Europa und die europäisch geprägten Überseeregionen (USA, Kanada, Australien) weitestgehend zu. Als einzig nichteuropäisch geprägtes Land hat Japan die Phasen der Transformation durchschritten. Das Einsetzen des Prozesses differiert jedoch von Land zu Land (i.d.R. mit Beginn der Industrialisierung). Des weiteren lässt sich eine Gesetzmäßigkeit bezüglich des Einsetzen und der Dauer der Transformation erkennen:
Je später die Transformation einsetzt, desto eher wir sie vollzogen.
Beispiel:  In England (Ausgangspunkt der Industrialisierung) dauerte der Prozess ca. 200 Jahre, in Deutschland hingegen nur noch 70 Jahre.
 

3.) Der demographische Übergang am Beispiel Deutschlands:

  1. prätransformative Phase: Zeitraum: 1815 – 1877

  2. hohe Geburten und Sterberate; kaum medizinische Kenntnisse, schlechte Hygienebedingungen; landwirtschaftlich geprägt => viele Kinder als Arbeitskräfte
  3. frühtransformative Phase: Zeitraum: 1877 – 1900 (Zeitalter der Dampfmaschine)

  4. Sterberate geht zurück; bessere Ernährungsgrundlage und –verteilung (bei Missernten konnten Nahrungsmittel aus anderen Regionen herangeschafft werden), verbesserte hygienische Bedingungen (Trinkwasserver- und -entsorung), medizinische Fortschritte (Schutzimpfungen)
  5. mitteltransformative Phase: Zeitraum: 1900 – 1915 (Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs) Sinken der Geburten- und Sterberate; Mittelschicht versucht, ihren Kindern durch eine bessere Ausbildung einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen => die hohen Ausbildungskosten lassen keine große Kinderzahl zu; Schulpflicht; Verbot der Kinderarbeit => auch für Arbeiterfamilien werden Kinder zum Kostenfaktor; Einführung eines Sozialversicherungssystems (Bismarck)
  6. spättransformative Phase: Zeitraum 1915 –1945 (Weimarer Republik)

  7. Geburtenrate sinkt weiter, Sterberate erreicht niedriges Niveau; medizinischer Fortschritt („naturwissenschaftliche Revolution“ Penizillin), Emanzipation der Frau (Studium, Beruf, Umwandlung von „Geburtenmaschine“ zu Berufstätigen); abnehmender Einfluss der Kirche wirkt sich auf das Verbot von Verhütungsmittel aus, zunehmender Zukunftspessimismus (vor 1933 hohe Arbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise 1929)
  8. posttransformative Phase: Zeitraum 1945 – 2000 (Industriegesellschaft; Wirtschaftswunder); Einpendeln von Geburten- und Sterberate auf niedrigem Niveau, sogar leichter Bevölkerungsrückgang


4.) Prognosefunktion des Modells

Das Modell des demographischen Übergangs bildet die Grundlage für die Prognose der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung.

Die Prognosefunktion des Modells ist jedoch sehr umstritten. Gerade bei der Anwendung des Modells auf die Entwicklungsländer, kommt es zu großen Widersprüchen:
 

  1. Die Auseinanderentwicklung zwischen Geburten- und Sterbeziffern (=Scherenöffnung) ist größer als bei den Industrienationen
  2. Der Transformationsprozess in den Entwicklungsländern dauert ungewöhnlich lang


Auch ein zukünftige Entwicklung der Bevölkerung ist mit dem Modell schwer vorauszusagen.

Die Übertragbarkeit des Modells auf die Entwicklungsländer ist problematisch. Auch wird immer wieder von europäischen Wertvorstellungen ausgegangen, die jedoch kulturell und auch religiös unterschiedlich sind.
Im allgemeinen mussten die Bevölkerungsprognosen immer wieder nach unten korrigiert werden.
 
 

Quellen:

Schmid, Josef (1984): Bevölkerung und soziale Entwicklung. Wiesbaden.

Bähr, Jürgen (1997): Bevölkerungsgeographie. 3. Auflage. Stuttgart.

Kuls, W. (1993): Bevölkerungsgeographie. Stuttgart.

Leib, Jürgen u. Mertins, Günter (1986) : Taschenatlas Bevölkerung. Braunschweig.